Body Neutrality: Besser als Body Positivity? - WELT (2025)

Liebe deinen Körper, egal, wie er aussieht. Das ist das Credo der Body-Positivity-Bewegung. Klingt super in Zeiten von Instagram. Was aber, wenn man nicht alles an seinem Körper toll finden kann? Body Neutrality könnte die Antwort sein.

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Dick, dünn, groß, klein – eigentlich sollte es egal sein, wie jemand aussieht. Dennoch ist das Netz voll mit Beauty-Tipps und Bildern, die zeigen, was gerade als schön erachtet wird. Fast immer sind es Frauen, die so abgelichtet werden. Noch immer ist das vorherrschende Schönheitsideal: möglichst groß, jung und schlank. Doch langsam ändert sich was. Immer häufiger tauchen in der Werbung, in den Modekollektionen der großen Labels und auf Instagram Personen auf, die nicht unbedingt dem entsprechen, was gemeinhin als schön angesehen wird.

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Sie haben Dellen am Oberschenkel, Schwangerschaftsstreifen, Kurven, hängende Brüste, Sommersprossen und Pigmentstörungen. Ihre Botschaft: Wir lieben unseren Körper genauso, wie er ist. Trotz Makel. Diese Bewegung versammelt sich unter dem Begriff Body Positivity – der gleichnamige Hashtag gehört zu den meistgenutzten auf Instagram und TikTok. Eine tolle Sache, die für mehr Diversität und Selbstliebe einsteht. Aber was ist, wenn jemand seinen Körper gerade zwar voll okay findet, ihn jetzt aber auch nicht unbedingt abfeiern, geschweige denn lieben möchte?

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Vielleicht ist dann das Konzept der Body Neutrality zielführender in der Social-Media-Welt – und kann zu einem gesünderen Selbstverständnis für Körper und Schönheit in unserer gesamten Gesellschaft führen. Aber was soll das eigentlich bedeuten, Body Neutrality? Bevor wir genauer die Unterschiede zwischen beiden Begriffen erläutern, haben wir eine Frage an dich:

Body Positivity versus Body Neutrality: Körperbilder zwischen Diversität und Stigma

Die Psychologin Silja Vocks von der Universität Osnabrück beschäftigt sich schon länger mit dem Thema. Sie forscht zum Thema Körperbild, den Effekten von Social-Media-Posts auf Bewegungen wie „Body Positivity“ und anderen Strömungen im Netz, die sich vom klassischen Schönheitsideal abwenden. Ein relativ neues Phänomen, wie die Forscherin betont. Die beiden Begriffe zu definieren ist dabei gar nicht so einfach, weil sie sehr diffuse Strömungen umfassen.

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Da die Body-Positivity-Bewegung schon länger existiere, sei es aber leichter, sie zu definieren, wie die Psychologin erklärt: „Die Bewegung möchte dem unrealistischen Schlankheitsideal beziehungsweise dem ausschließlichen Fokus auf einen schlanken und durchtrainierten „Normkörper“ entgegenwirken. Das Ziel der Bewegung ist, dass sich alle Menschen in ihrem Körper wohlfühlen sollen.“ Das sei aber nicht nur auf die Aspekte Figur und Gewicht bezogen, sondern könne auch andere Körpermerkmale jenseits des Schlankseins beinhalten. Im Großen und Ganzen geht es also um Vielfalt und darum, Stigmatisierungen sowie Diskriminierungen entgegenzuwirken.

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Viele Studien zeigen, so Vocks, dass sich Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper oder große Sorgen in Bezug auf Figur und Gewicht als Risikofaktoren für Essstörungen, körperdysmorphe Störung (negative Körperwahrnehmung) und Depressionen erwiesen haben. Daher sei der Grundgedanke der Bewegung begrüßenswert, weil diese Art von Umgang mit dem Thema gerade in sozialen Medien wie Instagram oder TikTok dazu beitragen kann, ein besseres Gefühl für verschiedene Körperbilder zu bekommen.

Aber übt Body Positivity nicht auch unterbewusst Druck aus?

Im Fokus steht nach wie vor der eigene Körper. Nicht wenige Influencer, die ihre Posts mit dem Hashtag #bodypositive versehen, propagieren geradezu das Mantra, jeder solle seinen Körper bedingungslos lieben – und sich dementsprechend auch einfach, egal was kommt, in Unterwäsche oder Yoga-Klamotten ablichten. Selbst dann, wenn man sich selbst darin gerade nicht wirklich schön findet. Das sei ein wichtiger Punkt, findet Vocks. Zwar sei es durchaus ein Verdienst von „Body Positivity“, dass die einheitlichen und strengen Schönheitsideale endlich kritisch reflektiert werden würden. Personen, die diesem Ideal nicht entsprechen, würden dadurch auch in den Medien stärker repräsentiert.

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„Selbst bei ‚Germany’s Next Topmodel‘ sind sie neuerdings in großer Zahl dabei. Letzten Endes soll dadurch eine andere Definition von Schönheit geschaffen werden“, erklärt Vocks. Kritisch daran sei jedoch die Tatsache, dass so der Körper erneut rigoros von außen betrachtet werde – und jeder muss etwas „Besonderes“ sein. „Der Körper wird Objekt der Bewertung sowohl durch die betreffende Person selbst als auch durch andere“, erklärt Vocks.

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Wie extrem dieser Effekt sein kann, zeige eine Studie aus Australien, die von der Psychologin als Beispiel angeführt wird. In dieser Studie wurden Probandinnen ohne Essstörung verschiedene Instagram-Posts gezeigt. Zum einen solche, die der Body-Positivity-Bewegung entsprungen sind, zum anderen solche, die den klassischen Posts auf Instagram entsprachen – mit schlanken, „idealen“ Körpern. Eine weitere Gruppe bekam neutrale Posts gezeigt, die dem Konzept von Body Neutrality wohl am ehesten entsprechen würden. Dabei zeigte sich: Die Personen der Body-Positivity-Gruppe hatten im Vergleich zu denen, die mit Posts konfrontiert wurden, die dem Schlankheitsideal entsprechen, eine bessere Stimmung und waren zufriedener mit dem eigenen Körper.

Bei der Studie kam aber noch ein weiterer Aspekt zutage, wie Vocks erklärt: „Beide Versuchsgruppen hatten eine höhere Selbstobjektivierung als bei den neutralen Posts.“ Selbstobjektivierung bedeutet, dass man sich selbst als Objekt betrachtet und sich entsprechend – auch aus der Außenperspektive – bewertet. „Was natürlich schädlich für das eigene Körperbild ist“, sagt Vocks. Auch wenn die Body-Positivity-Bewegung also eigentlich gute Absichten habe, bleibe der permanente, auf das Aussehen bezogene Selbstbewertungsprozess bestehen.

Genau da setzt Body Neutrality an

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Aber neutral an einen Körper heranzugehen und ihn zu betrachten, ist gar nicht so leicht. Um diesen Vorsatz auch im Alltag umsetzen zu können, könne es helfen, so Vocks, sich bewusst zu machen, dass der Faktor Aussehen nun einmal in vielen gesellschaftlichen Kontexten an sich schon eine Rolle spiele. Etwa bei der Partnerwahl, dem Job, in der Schule und so weiter. „Das zu verleugnen, bringt niemandem was“, findet die Psychologin.

Man könne jedoch schädlichen Konsum von Social-Media-Einflüssen eingrenzen. „Wichtig ist es, die jungen Leute dafür zu sensibilisieren, noch mal darauf hinzuweisen, dass vieles, was einem zum Beispiel auf Instagram präsentiert wird, durch Bildbearbeitung, Filter und so weiter beschönigt wird. Das sind sorgfältig ausgewählte Bilder, die vor allem Likes generieren sollen“, sagt Vocks. Wer sich dessen bewusst ist, kann selbst selektieren und auswählen, wem er folgt.

So geht's nicht

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Hinzu käme, dass Menschen dazu neigen, sich zu vergleichen. „Vor allem unsichere Personen zeigen hierbei stärker aufwärts gerichtete soziale Vergleichsprozesse, das heißt, sie vergleichen sich mit Personen, die vermeintlich besser sind als sie“, so die Expertin. In Konsequenz bedeutet das: „Da schneidet man zwangsläufig schlechter ab und fühlt sich dementsprechend schlecht. Das ist ein Teufelskreis.“ Sich dessen bewusst zu werden und sich klarzumachen, dass man bei der Bewertung des eigenen Körpers häufig strenger ist als mit anderen, könne helfen.

Nach wie vor werden Body Positivity und Body Neutrality jedoch eher mit Frauen assoziiert

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Daran ändere sich jedoch langsam etwas, möglicherweise auch durch Social Media, erklärt die Psychologin. In der heutigen Gesellschaft sei das Aussehen bei Frauen in verschiedenen Kontexten noch immer relevanter als bei Männern. In der jüngeren Generation ändern sich dieses Muster jedoch: „Bei Kindern und Jugendlichen entdeckt man in Studien, dass auch Jungs mittlerweile sehr beeinflusst sind in ihrer Körperwahrnehmung. Während es bei Frauen ums Schlanksein geht, steht bei ihnen allerdings der Muskelaufbau im Vordergrund“, so die Expertin. Allerdings spiele ein durchtrainierter Körper auch bei Frauen eine immer wichtigere Rolle.

Auch im Hinblick auf diesen Aspekt könnte Body Neutrality unabhängig vom Geschlecht helfen, ein besseres Selbstverständnis für den eigenen Körper zu finden. Bei der Diskussion um Körperbilder und gängige Schönheitsideale sehen sich einige Influencer der Body-Positivity-Bewegung häufig damit konfrontiert, gesundheitliche Risiken vor allem in Bezug auf Adipositas auszublenden. „Es ist ein Dilemma, das Psychologen seit Jahren aus der Prävention von Essstörungen auf der einen und von Übergewicht auf der anderen Seite kennen“, sagt Vocks.

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Sowohl massives Über- als auch starkes Untergewicht seien natürlich nicht erstrebenswert. Fakt sei aber: „Wenn jemand unzufrieden ist mit seinem Körper ist beziehungsweise starke Figur- und Gewichtssorgen hat, dann bedeutet das: Stress und negative Gefühle“, erklärt die Psychologin. Das könne ungesundes Essverhalten oder auch Essanfälle auslösen, die dann die Funktion haben, die negativen Emotionen zu regulieren – „und dies wiederum kann dann natürlich zu einer weiteren Gewichtszunahme führen“.

Auf der anderen Seite könne die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper auch ein Motivator sein, das eigene Ess- und Bewegungsverhalten positiv zu verändern. „Wie ein Mensch auf diese körperliche Unzufriedenheit reagiert, ist schwer zu prognostizieren“, so Vocks. Da die gesellschaftliche Stigmatisierung bei Erkrankungen wie Adipositas sehr hoch sei, könne Body Positivity ein Ansatz sein, dieser entgegenzuwirken.

Wie lässt sich Body Neutrality nun also definieren?

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Eine abschließende Definition dieser Gegenbewegung zu finden, sei nicht einfach, weil sie sehr viel umfasse, „da ja eher etwas darüber ausgesagt wird, was nicht Inhalt sein sollte, als was konkret zu der Bewegung zählt – das kann dann natürlich alles oder nichts sein“, erklärt die Psychologin. Ziel der Body-Neutrality-Bewegung sei es, ein neutrales Verhältnis zum eigenen Körper zu erlangen. Das heißt vor allem, das eigene Selbstwertgefühl sollte nicht so sehr von den Aspekten abhängig gemacht werden, ob man nun schlank ist oder muskulös. Der Fokus werde eher auf den Aspekt gelenkt, wie man sich im eigenen Körper fühle, beziehungsweise welche Bedürfnisse und Funktionen er hat. „So sollen in den Posts keine hinsichtlich des Aussehens zu bewertende Körper dargestellt werden“, sagt Vocks.

Dass der Begriff in Social Media bisher weniger präsent sei, habe mehrere Gründe. Neben der schwer zu fassenden Definition von Body Neutrality spiele es auch eine Rolle, dass solche neutralen Posts nicht die große Aufmerksamkeit erzeugen würden: „Körper, die nicht dem entsprechen, was wir tagtäglich sehen, sind in einigen Kontexten einfach viel spannender. Der Sensationseffekt schwingt einfach mit.“ Zudem sei das Body-Neutrality-Konzept als Gegenbewegung noch sehr jung. Viele würden den Begriff noch gar nicht kennen.

Einen Versuch, sich sowohl Body Positivity als auch Body Neutrality anzunähern, stellt diese Fotoreihe dar:

#reallife

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